Die Brexit-Frage hat die Finanzmärkte in den vergangenen Monaten relativ kalt gelassen. Dass Theresa May am Dienstag mit ihren Plänen im britischen Parlament deutlich gescheitert ist, sorgt dennoch auch bei Finanzexperten für Aufsehen. Für Stefan Kreuzkamp, Chief Investment Officer (CIO) der DWS, bleibt der Brexit-Prozess offen und vieldeutig. „Welchen neuen Wurf Theresa May nach überstandenem Misstrauensvotum dem Parlament am Montag genau präsentieren möchte, ist uns ein Rätsel“, so Kreuzkamp.
Weiterer Prozess völlig offen
Ohnehin werde auch der nächste Schritt wieder nur eine weitere Etappe zu einer weiteren Entscheidung darstellen. Damit sei in Sachen Brexit unverändert alles möglich. „Insbesondere auch Neuwahlen, eine Verlängerung der Frist für Artikel 50 oder auch ein zweites Referendum“, so Kreuzkamp.
Ausstrahlung auf Deutschland
Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), bedauert das Scheitern Theresa Mays. „Das Abkommen hätte die notwendige Planungssicherheit [...] für britische und europäische Unternehmen sowie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf beiden Seiten des Ärmelkanals ermöglicht.“ Wegen der gravierenden Unsicherheiten über den Brexit erwartet Kolak, dass sich die Konjunktur Großbritanniens weiter abschwächen und das auch negativ auf Deutschland ausstrahlen wird.
Erhebliche Verunsicherung an den Märkten
Zu den Folgen für die Finanzmärkte hat sich unter anderem Pieter Jansen, Seniorstratege Multi Asset bei NN Investment Partners, geäußert. Er erwartet eine erhebliche Verunsicherung. „Wir gehen davon aus, dass die Renditen britischer Staatsanleihen zurückgehen“, so Jansen. Auch Aktien dürften unter Druck bleiben, solange es nicht mehr Klarheit in Bezug auf den Brexit gibt. Das meint jedenfalls Karen Watkin, Portfoliomanagerin All Market Income bei AllianceBernstein (AB). Schließlich dämpfe die Gefahr einer größeren Unsicherheit die Investitionsbereitschaft und beschädige das Vertrauen der Unternehmen und Verbraucher.
Holprige Fahrt für britische Vermögenswerte
Ähnlich skeptisch ist Neil Dwane von Allianz Global Investors. „Anleger und Unternehmen müssen sich auf eine Vielzahl von Szenarien und anhaltende Unsicherheit einstellen“, so der globale Stratege. Der Brexit bedeute vor allem für britische Vermögenswerte eine holprige Fahrt. Allerdings sei der britische Aktienmarkt nicht gleichbedeutend mit der britischen Wirtschaft. Schließlich würden die Unternehmen des britischen FTSE 100 etwa 70% ihrer Umsätze im Ausland erzielen.
Auf Grundlegendes besinnen
Stephanie Kelly, politische Volkswirtin bei Aberdeen Standard Investments, rät dazu, sich von eventuellen Turbulenzen an den Märkten nicht verunsichern zu lassen. Zwar dürften die Märkte in den kommenden Tagen unruhig sein. „Aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass sich nichts Grundlegendes geändert hat“, so Kelly. Das Klügste, was Investoren kurzfristig tun können, sei daher: nichts. (mh)
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